Ostia antica 14, 200 x 170 cm, Öl auf Leinwand, 2013
 


 
Immobilien / Real estate
 
 
“Liegenschaften, Langzeitkunst

Was bleibt übrig von der ganzen Geschichte? Was dauert? Überdauert (unterdauert), dauert an? Einen Zahn habe die Zeit, sagt man, der nage, und das Genagte wird vom Vergessen geschluckt, und doch widersteht ihm manches. Aber nicht auf ewig. Das Widerständige, Festgemauerte, zeigt nur ein anderes Tempo, das scheinbar Bleibende verschwindet nur langsamer – aus dem Blickfeld, der Erinnerung, den Archiven – auch das Immobile ist mobil. Ruinen in Landschaft, Menschengemachtes in Natürlichgewachsenem, Verfall in zyklischer Erneuerung: Das Vergehende muss immer wieder freigeschaufelt, von Altertumskundigen entdeckt, gedeutet und ans Licht gehoben werden, ans Tages-, ans Augenlicht, um nicht unter üppig Wachsendem zu verschwinden. Das verbindet die behauenen Steine in Schweden mit denen in Frankreich, Italien, der Türkei – und trennt sie von den gemalten auf Capellaris Bildern.

Unbewegt, unberührt liegen diese Liegenschaften dort da, diese Realitäten (real estate), doch den Formen selbst haftet das Abschleifen, Verwittern, langsame Zerbrechen an, die schleichende Veränderung über große Zeiträume hinweg. Nichts bleibt. Doch was war, hat selbst in seinen Schwundstufen eine ganz eigene Gestalt, Präsenz, Schönheit, Aktualität. Gestern ist auch heute, das Jetzt sowieso nie festzuhalten, alles immer ein Rück- oder Vorblick.

„Ein Bild muss in sich Bestand haben, nicht in seinem Bezug auf ‚Wirkliches’“, sagt der Maler, will heißen: Es repräsentiert nicht, porträtiert nicht, hat vielleicht Äußeres zum Anlass, zum Anstoß, um dann aber ein Eigenleben zu entwickeln. „Ich bin kein Illustrator. Malerei ist ein Medium, das aus Formen und Farbe etwas Eigenes schaffen muss, es muss für sich stehen und aus sich existieren, ein Bild lebt aus seiner Vieldeutigkeit, wenn es gelingt.“

„Wann gelingt ein Bild?“, frage ich nach. „Am liebsten male ich zwei, drei Stunden ohne Unterbrechung, damit das Öl nicht trocknet, sonst wird’s etwas anderes. Ich darf nicht zu müde, muss konzentriert genug sein, aber zu gewollt darf es auch nicht sein – aber manchmal habe ich das alles, und es gelingt vielleicht trotzdem nicht. Wird nicht rund, hat keine Spannung in sich, keine Freude am Tun, ist nicht offen oder zu offen. Am nächsten Tag geht’s weiter, und es wird etwas anderes, aber das ist nicht planbar. Es gibt kein Rezept. Wenn man glaubt, man hat eins, kann das funktionieren, aber oft verliert das Bild dann auch die Spannung. Ich muss ein Thema über Umwege angehen.“

„Wann wird etwas zum Thema?“, will ich weiter wissen, denn wie, warum kommt dieser Künstler zu seinem Stoff oder umgekehrt? – „Tja, ist eine Landschaft ein Thema? Wird sie es erst, wenn es eine konkrete Erzählung gibt? Für mich können auch bestimmte Farbkompositionen ein Thema sein, aber es ist wohl sinnvoll, die Frage enger zu fassen. Etwas ist ein Thema, wenn es mich berührt. Es gibt in der Kunst ja große Themen, die immer wieder bearbeitet worden sind; heute sehe ich eher die Schwierigkeit, dass die Auseinandersetzung mit der Welt und mit eigenen Erlebnissen einen wirklich tief berührt. Ein Beispiel: Das Thema Auferstehung taucht für mich immer wieder mal auf. Wenn man zum Beispiel als Kranker wieder zu Kräften kommt und das intensiv erlebt, dann ist das ein Auferstehungsthema. Doch selbst wenn es unbewusst da ist, kann ich mir nicht bewusst und willentlich vornehmen, das darzustellen. Aber manchmal male ich eine Landschaft, und ein Figürchen darin schafft eine Spannung – und die drückt plötzlich dieses Thema aus. Es ist mir wichtig, Elementares, Essentielles, auch Erzählerisches zu malen, aber das geht nicht auf direktem Weg.“

Das Elementare, hier elementare Formen, schält sich nach dem Zerfall heraus, kommuniziert mit der geometrischen Form des Bildes, des Vierecks, des großen Ganzen. „Mir stellt sich immer die Frage: Was ist ein Bild? Ein Bild kann ja selbst Architektur sein. Es ist flach, kann aber den Eindruck von Tiefe erzeugen. Ist eine Figur auf dem Bild zu sehen, eventuell sogar nur ein Kopf, kann man sich fragen, ob das flache Bild ein Spiegel ist. Die Farbe ist zwar Träger und Vermittler, aber ist selber ja auch räumlich. Und sie ist Energie. Jedes neue Bild muss diese Frage, was ist ein Bild?, immer wieder neu reflektieren oder zu beantworten versuchen.“

Ruinen in Landschaft, das Elementare, das sich im Verfall bloßlegt, Vergehen und Werden, die Geschichte, die dabei, daraus erzählt wird. Was interessiert den Malermenschen Wolfgang Capellari daran? „Das Freilegen von Ruinen ist Interpretation. Die romantische Sehnsucht nach dem Früheren interessiert mich nicht. Ich bin froh, dass das alles zusammengefallen ist. Mich interessiert, wie man heute mit dem Gewesenen umgeht.“

Wenn jedes Natur- auch ein Menschenbild ist, jeder Blick in die Landschaft auch die Natur dieses Blicks offenbart, dann zeigen Wolfgang Capellaris Bilder keine Naturidyllen oder Darstellungen von Menschenwerk, sondern die von der Natur ausgelösten Empfindungen. Die Palette der Farben ist die Palette der Empfindungen. Capellaris Blick auf Natur ist kein analytischer und kein romantischer, kein kritischer oder theoretisch wissender, es ist die eigensinnige Behauptung und Durchsetzung von Subjektivität, von einem fühlenden Betrachter, der selbst wieder zum Schöpfer wird, nachdem er in der Anschauung des anderen von sich abzusehen vermochte. Diese Anschauung, die das Eigene zurückstellt, braucht Zeit, viel Zeit. „Es gibt Hunderttausende von Gründen, ein Bild nicht zu malen. Es grenzt an ein Wunder, dass überhaupt eins gemalt wird.“

Claudia Hamm